Wessel Lalk nimmt Abschied vom Arbeitsleben!

Beginn: 03. April 1956 Ende: 12. Januar 2000

Liebe Kollegen:

 

Am 03.04. 56 begann Wessel eine dreijährige Lehre in der Schlosserei auf der alten Meyer Werft. Die Meister hießen Appeldorn und Broer.

Unter Ausbilder Rudel Ahrens musste Wessel die verschiedensten Aufgaben erledigen.

 

Das glanzlose Auto:

Mitten im Sommer, es war kurz vor Mittag,

Lehrmeister Ahrens laut zu Wessel sprach:

 

Hinter der Kesselschmiede steht ein Schlitten,

der hat vom Dreck auf der Straße, stark gelitten.

 

"Du wirst nun gleich den Wagen putzen",

"und musst dabei Wasser und Shampoo benutzen".

 

Die Sonne brannte unbarmherzig von oben,

nun, Wessel durfte sich beim Autowaschen austoben".

 

Doch er war eisern und schrubbte alles sauber,

nur manchmal hörte man ihn fluchen, „ soh’n blöder Zauber".

 

Nach dem Trocknen wurde die Politur aufgetragen,

der Peeks soll staunen über seinen Wagen.

 

Aus allen Poren strömte der Schweiß,

und die Sonne brannte, das Blech war heiß.

 

Oha, dachte Wessel,  schon hart und spröde,

monoton rieb er weiter, Mensch ist das öde.

 

Wessel hat dann immer kräftiger gerieben,

doch es war zu spät, der Wagen ist matt geblieben.

 

Dann kam der Betriebsleiter, er sah das Malheur,

Glanz auf dem Wagen, den gab es nicht mehr.

 

Noch lange hing ihm dieser Ärger nach,

Wessel war das eine große Schmach.

 

Er hat sich hierbei kräftig blamiert,                                                                   nun weiß er, draußen in der Sonne wird kein Auto poliert.

 

Nachdem der Gesellenbrief geschafft war, wurden Wessel und seinem langjährigen Kollegen Hermann Backer vom Vorgesetzten umfangreiche Arbeiten an Bord der Schiffe zugeteilt.                                                                                                                          Doch auch im Privatleben wollte Wessel Lebenserfahrungen sammeln. Von einer Erfahrung kann ich berichten:

Der müde Poltergeist:

 

Zum Poltern fuhren vier Kollegen im Wagen,                                                  he, wir sind schon da, hörte man Wessel sagen.

 

Die Buntmacher waren gerade mit dem Aufhängen fertig,                       gleich gibt es Fusel, Durst hab ich gar nicht.

 

Das dachte Wessel bei sich und schon kam die Braut,                                sie hat sich mit einer Flasche vor ihm aufgebaut.

 

Und sie hielt ihm hin ein volles Glas,                                                              Wessel sagte ganz schüchtern, muss ich das?

 

Einmal ist immer das erste Mal,                                                                     trink ihn man aus, du hast keine Wahl.

 

Nach einer kurzen Zeit waren es schon sieben,                                           Hick‘s, macht nichts, einen werd ich mir noch hinter die Binde schieben.

 

Doch so langsam überkam ihm die Müdigkeit,                                              nur die Kollegen waren noch nicht soweit.

 

Wessel sagte zu Jan Grahs: ick kunn so penn‘n,                                            segg ehm Jan, wenne gohnt wi dann noah Hus henn?

 

Dat dührt hier seke noch Stündenlang,                                                                 lerg du di doch erst mohl‘n setje up Bank.

 

Wessel ging danach noch mehrmals zu den Kollegen,                                    um sie zum nach Hause fahr‘n anzuregen. 

 

„Wessel, du nervst, hohl di stiehl un penn,                                                           un froag nich immer, wenne goahnt wi dann noah Hus henn.

 

Gegen fünf Uhr wurde Wessel nach Hause gebracht,                                    es war für ihn eine schlimme Nacht.

 

Zu Hause stand Mama in der Tür mit fragenden Blick,                               Hallo Mama, ick bün weer doar bi di * Hicks*.

 

Es dauerte nicht lange und Wessel musste für die Heck- & Backausrüstung ganz alleine die Verantwortung übernehmen.

 

Der Eigentum:

Wessel war schon 13 Jahre als Schlosser aktiv,                                             als ihn Reinhold zum ersten mal vor die Füße lief.

 

Ihre Umkleidespinde waren in nächster Nachbarschaft,                           Wessel war zu der Zeit ziemlich geschafft.

 

Reinhold hatte seinen ersten Tag soeben beendet,                                       als Wessel sich ihm plötzlich zuwendet.

 

Nach Feierabend wuschen sich die Kollegen Hände und Gesicht,              die meisten richtig gründlich, die anderen nicht.

 

Er sagt zu Reinhold, wer bist du denn, du lange Latte,                           verschwinde von meinem Platz, sonst liegst du auf der Matte.

 

 

Dabei hatte Reinhold nichts Falsches getan,                                               doch Wessel schimpfte weiter, geh weg von meinem Wasserhahn.

 

Du Schnösel hast dir meinen Hahn ausgesucht,                                           was ich seit 13 Jahren benutze, verflucht.

 

Er scheuchte Reinhold mit lautem Organ,                                                      von seinem eigenen Wasserhahn.

 

Viel später haben sie sich doch wieder vertragen,                                       das kann ich heute mit Freude sagen.

 

Wessel hat noch viele Jahre auf der alten Werft unter den Vorgesetzten Hackling, Eichhorn, Müller, Sonntag und Lüssing gearbeitet.

 

Die Abkühlung:

Es ist wiederum Sommer und richtig heiß,                                                      bei den Kollegen strömte nur so der Schweiß.

 

Plötzlich, von irgendwo her war Wasser gekommen,                              Wessel wurde getroffen, er war richtig benommen.

 

Er sah noch den Kollegen einen Eimer wegtragen,                                      der lernt mich kennen, hörte man ihn sagen.

 

Doch Wessel hatte sich nach einer Stunde schon zweimal umgezogen,    und schon wieder kam eine volle Ladung angeflogen.

 

Inzwischen sah er aus wie eine Vorlegematte,                                             oder wie einer, der die Hosen voll hatte.

 

Wessel gab auf, „von mir aus kommt alle her",                                           spritzt so viel ihr wollt, ich kann nun nicht mehr.

 

Auf der neuen Werft fertigte Wessel die Fundamente für die verschiedensten Motoren und Maschinen, sowie für die Poller und Klüsen an.

Aber es gab auch Lustiges aus Halle 2 zu erzählen, die eine Anekdote  darf da nicht fehlen.

 

Die Zigarre war’s:

Vorarbeiter Sonntag hatte einen bestimmten Verdacht,                               und hat die Botschaft gleich zu Karl Eichhorn gebracht.

 

Karl versuchte darauf ganz unauffällig zu den Verdächtigen zu kommen, doch die hatten ihn schon längst wahrgenommen.

 

Nur Wessel nicht, der war genüsslich am Zigarre rauchen,                             die anderen riefen noch, er solle untertauchen.

 

Er tauchte unter, doch fiel dabei hin,                                                                 so fand ihn Karl zwischen dem Gerümpel, mittendrin.

 

„Ja man Wessel, nu segg ehm, wat is hier dann los?                                Sagte er mit ernster Miene, er war sehr erbost.

 

Wessel versuchte dann auf die Beine zu kommen,                                         er erkannte Karl nur ganz verschwommen.

 

Du Karl, van disse Zigaar is mi richtig schlecht,                                              un dorum heb ick mi hier‘n bitsche henleggt.

 

Wenn dieth nich gäut geiht, dann hörst du noaht Sani,                                  stoah nu sofort up, un dann ab hier, oaber hannig.

 

Ick heb soh‘n Rieten un Schgörn in mien Liev,                                               dat ick läwer noch ehn bitsche lig‘n bliew.

 

Die Kollegen, die das hörten, sie konnten nicht mehr,                                    wo holte Wessel so schnell diese Lüge her.

 

Kollegen, wi bünt soh‘n bitsche an‘t Gebursdag fier‘n,                                   un henfahln kann jeden ja moal passieren.

 

Vor 12 Jahren noch wurden die Aufgaben unter Karl Eichhorn und Bertus Sonntag von mehr als 80 Kollegen erledigt.                              Es war damals in der Werkstatt so eng, dass man denken konnte, eine Betriebsversammlung stünde an.                                                        Hierbei blieben manchmal lebhafte Diskussionen über Gott und die Welt nicht aus. Meistens fand man Wessel mitten drin.

 

Blackout:

Es war im November 85,                                                                                  Kurt Drebes hatte Geburtstag, zu trinken gab es für die Kollegen auch was.

 

Kurt war besonders spendabel gewesen,                                                 Wessel konnte schon beim Frühstück keine Zeitung mehr lesen.

 

Irgendwie wurde ihm immer wieder übel,                                                    plötzlich stolperte er los und suchte einen Kübel.

 

Doch er kam bis zum Waschraum, dort fiel er hin,                                         das flüssige Brot rann tropfend vom Kinn.

 

Wessel war krank, er hatte sich den Magen verdorben,                                die Kollegen mussten sich ernsthaft um ihn sorgen.

 

Doch Wessel hatte noch nicht alles ausgebrochen,                                       da versagten ihm auch noch die Knochen.

 

Er konnte ganz einfach nicht mehr steh’n,                                         geschweige denn ohne Hilfe ein paar Schritte geh’n.

 

Um seine Kleider aber wieder sauber zu kriegen,                                         durfte er nicht länger auf dem Boden liegen.

 

Sie haben Wessel dann am Kleiderhaken aufgehängt,                           Wessel hat während dessen ganz friedlich gepennt.

 

Die Kollegen haben gereinigt, was zu reinigen war,                                      am Nachmittag war Wessel dann wieder fit und klar.

 

Bis heute denkt Wessel, mit dem Fusel stimmte was nicht,                          es schmeckte so komisch, das war fürchterlich.

 

Bis heute war das Arbeiten in der Werkstatt für Wessel Normalität.            Die anfallenden Aufgaben waren ihm und seinen Kollegen unter der 

Führung von Rudel Hermanns in Fleisch und Blut übergegangen.           Routine hat sich in Halle 1a breitgemacht.                                              

 

Natürlich kamen dabei seine Redebeiträge nie zu kurz.                                Ich hab schon öfter mal gedacht, Wessel hätte auch Dirigent für 

Blasmusiker werden können, bei seinem Talent.                                        Doch Wessel wollte Schlosser werden und er ist es bis heute geblieben. 

 

Was mir bei Wessel immer besonders gefiel, ist die Tatsache, dass er, vor allem in den letzten Jahren, also nach seinem 40sten Arbeitsjahr, die zentrale Anlaufstation in Halle 1a wurde.                                                          Er hatte für alle ein offenes Ohr und sein Spind stand auch für jeden offen. Wir gingen alle, wenn wir einen Besuch bei Wessel machten, recht Bliede und beeindruckt zu unserer Arbeit zurück und waren richtig beschwingt. "Wessel hat in Halle 1a immer kräftig dazu beigetragen, dass auch der Humor zu seinem Recht kam".                                                                       Auch im Aufenthaltsraum waren seine Fähigkeiten gefragt.                  Wessel war für uns in den letzten Jahren ganz einfach das "Mädchen für alles".   Einfach unentbehrlich, mit einer winzigen Einschränkung.                                                                                                 Und das war so: Alle Menschen bemühen sich, gesund und  bewusst zu leben.  Manchmal diskutierten die Kollegen über Ärzte, Krankenhaus oder überhaupt über Krankheiten und persönliche Probleme.                           Wenn sie Wessel dann auf seine Gesichtsfarbe ansprachen, konnte er sehr sensibel werden.                                                                                         Solche Themen nahm er ernst, da wollte er dann am nächsten Tag von den Fachärzten wissen, warum der Rücken schmerzt, oder ob hinter der Erkältung nicht doch eine Grippe steckt und vielleicht chronisch werden kann.                                                                                                               Dabei konnte es passieren, dass er tatsächlich ans Bett gefesselt wurde, leider.                                                                                                                    Die Kollegen haben ihn dann sehr bedauert, aber auch vermisst.               Sie haben sich die Frage gestellt, warum immer Wessel diese Qualen erleiden muss.                                                                                                   Doch wir merkten auch sehr schnell, was uns mit Wessel’s Abwesenheit in der Werkstatt fehlte.                                                                                          Nun aber Schwamm drüber, wir wollen nicht egoistisch sein, Kollegen. Gerade heute, wo wir alle wissen, dass unser aller Freund, unsere Anlaufstation in Halle 1a, unsere Zentrale, das letzte Mal ganz offiziell in der Schlosserei unter uns war.

 

Lieber Wessel:

wir werden morgen und in den nächsten Tagen und Wochen in der Werkstatt an Deinem Arbeitsplatz vorbeikommen, unsere Augen werden umherschweifen und in unseren Gedanken werden Dich sicherlich vermissen.

Doch wir müssen uns damit abfinden, das ist der Lauf des Lebens.            Du beendest heute doch nach  45  anstrengenden Arbeitsjahren in der Schlosserei auf der Meyer Werft Deinen zweiten Lebensabschnitt.

Du hast uns in all den Jahren viel gegeben und wir werden lange dazu brauchen, um zu begreifen, dass Du in der Werkstatt nicht mehr da bist.

 

Lieber Wessel:

Du hast uns heute hier im Schulfestsaal Völlenerfehn zu Deiner Abschiedsfeier eingeladen.

Im Namen aller Kollegen bedanke ich mich herzlich dafür.

Wir alle wünschen Dir und Deiner Familie für die Zukunft viel Gesundheit, weniger Stress, weniger Ärzte, aber dafür ein langes Leben.